Arbeiterradfahrer-Verein "Solidarität von

Die Geschichte des Arbeitersports beginnt in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts. Den Arbeitern wurde der Zugang zu den bürgerlichen Sportvereinen weitestgehend verwehrt. So begannen sie sich  eigene Möglichkeiten zu schaffen, um in der Gemeinschaft Sport zu treiben. Hatte das „Sozialistengesetz"  diese Entwicklung zunächst stark behindert, so kam es nach dessen Fall zu einer verstärkten Gründungswelle von örtlichen und regionalen Kultur-, Sport- und Freizeitvereinen innerhalb der Arbeiterbewegung. 1893 erfolgte die Gründung des ersten proletarischen Radfahrerbundes, der aber wegen politischer Zielsetzungen in der Satzung schon nach wenigen Tagen vom wilhelminischen Machtapparat verboten wurde. 

Doch zu Pfingsten 1896 wurde in einem neuen Anlauf am 25./26. Mai in Offenbach am Main der Arbeiter-Radfahrer-Verein „Solidarität“ von Delegierten aus 12 Arbeiter-radfahrervereinen gegründet. In der Satzung war der Hauptzweck des Bundes mit “…die Pflege und Ausbreitung des Radfahrens in Arbeiterkreisen“  angegeben. Politische Agitation wurde mit Bedacht zur Privatsache erklärt.

Durch die beginnende industrielle Massenproduktion  Anfang der  90er Jahre des ausklin-genden 19. Jahrhundert kam es zur massenhaften Verbreitung des standardisierten, luftbereiften Fahrrades mit zwei gleich großen Rädern. Die erhöhte Mobilität erleichterte nun der Arbeiterschaft sowohl den Weg, auch zu einem entfernteren Arbeitsplatzt,  als auch die umfangreiche Erkundung der Umwelt. Es gab ein neuartiges Gefühl der Freiheit!

Der Name „Solidarität" wurde bewusst gewählt! Es beschrieb das wichtige Prinzip der Arbeiterbewegung: "Nicht nur zum Vergnügen sind wir Arbei-terradfahrer, sondern wir wollen uns der Mission, die uns im Kampf für die Sache des Volkes zufällt, voll bewusst sein und zeigen, dass wir nicht die letzten sind…“

Dieser „Bund" war von Anfang an mehr als ein Sportverein und sah sich eher als Interessenvertretung aller Radfahrer in Deutschland. Man wandte sich gegen schikanöse Vorschriften wie die Einführung von Fahrradkarte, einer Fahrradsteuer oder bestehende Fahrverbote, forderte einheitliche Ver-kehrsbestimmungen und setzte sich für den Radwegebau ein. Versiche-rungsdienst (Unfall/ Rechtsschutz) und weitere Unterstützungsleistungen für die Mitglieder gingen weit über den Charakter einer Sportorganisation hinaus. Höhepunkte für die Bundesmitglieder waren Festlichkeiten und Ver-anstaltungen in eigenen Vereinslokalen und Großveranstaltungen bzw. Kampf-demonstrationen am 1. Mai.

Eine weitere Säule des Vereinslebens war der Saalradsport mit Kunst- und Reigenfahren, sowie der Radball und Radpolosport. In der wärmeren Zeit des Jahres wurden Touren- und Wanderfahrten in die Umgebung mit gemeinsamen Essen unternommen. Viele Ortsgruppen richteten „Freiquartiere" ein  und boten den Arbeiterradfahrern mit den breiten Pneus und den schmalen Portemonnaies kostenlose Übernachtung an. Mit eigenen Bundespostkarten grüßten die Ausflügler die „Lieben daheim“.

Der Radrennsport wurde zunächst abgelehnt, weil er zu sehr dem bürgerlich dekadenten Individualitätsprinzip entsprach.

Für preiswertere Räder sorgte später die Bundeseigene Fahrradfabrik „Frischauf“ in Offenbach am Main. Kostete ein Hochrad 1888 noch 500 Reichsmark,  fielen die Preise für Niederräder bis 1899 bis auf 170 RM. Aber zum Vergleich: In Berlin verdiente ein Ungelernter 1892 ungefähr 2,70 Mark täglich. Ein Möbeltischler hatte abends 3 bis 4 Mark in der Tasche. Das Frisch-auf-Werk  entwickelte sich von seinen Berliner Anfängen 1901 nach seinem Umzug nach Offenbach bis etwa 1930 zu einem Großunternehmen mit 180 Beschäftigten und produzierte neben 20.000 Fahrräder jährliche, weiteres Zubehör, Motorräder und Haushaltsgeräte.

Während bürgerliche (Rad)-Sportvereine sich eher zersplitterten, wuchs der Bund  zum „größten Radsportverein" der Welt mit 300.000 Mitgliedern. Der Sportbetrieb war vorbildlich organisiert und gepaart mit einem ausgeprägten verkehrspolitischen Konzept.

Seinen  politische Impetus verschleiert er durch sogenannte Vertrauens-männer, die offizielle Kontakte zur SPD/KPD knüpften. Die Arbeiterradfahrer galten als „Rote Kavallerie" dieser Parteien, die Wahlzettel transportierte, Nachrichten überbrachte, Gefahren signali-sierte und die Arbeiterpresse ver-breitete.

Auch bei der Niederschlagung des Kapp-Putsches  und in der November-revolution waren viele Mitglieder  als Kuriere und Melder aktiv.

Nach der Machtergreifung des Faschismus 1933 in Deutschland unterlagen viele Mitglie- der der „Solidarität" häufig einer brutalen Verfolgung und Unter-drückung.

(nach einem Aufsatz von Michael Polster)

 

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© Dr. med. Fritz Baars