Distanzfahrten ----- die langen "Kanten"

Die spektakulären Distanzfahrten mit Tagesstrecken von 250 bis 500 km auf Rädern ohne Gangschaltung und in relativ bescheidener Sportkleidung waren nur etwas für ganz "hartgesottene" Typen. Einige von ihnen, wie Joseph Fischer oder Ausgust Lehr, sind noch besserer im Gedächtnis, weil an sie in den deutschen Radsportzeitungen in Ost und West immer wieder erinnert wurde. Andere kennt man heute weniger oder gar nicht mehr, obwohl sie durchaus einen Platz im Pantheon dieser "Giganten" verdienen haben. Hier will ich an drei Männer der erste Stunde erinnern, die mit Brandenburg a.d.Havel in Verbindung stehen.

Fritz Lauenroth, Paul Gericke, Johann  Pundt

Fritz Lauenroth:

Über ihn ist mir nur wenig bekannt. Er war Mitglied der B.R.-V. "Brennabor" von 1891. Im Brandenburger Anzeiger wurde berichtet:

Am 12.10.1892 veranstaltete die Redaction des Sportblattes „Stahlrad“ in Leipzig ein 500 Kilometer-Rennen auf der Chaussee Leipzig nach Dresden. Die 100 km-Strecke sollte fünfmal gefahren werden. 13 Teilnehmer hatten sich zu dieser Concurrenz angemeldet. Daran beteiligte sich auch der hiesige Meisterfahrer Fritz Lauenroth, Mitglied des Radfahrer-Vereins „Brennabor“.

Um 9°° Uhr wurden die Fahrer vom  Start nach Dresden abgelassen. Lauenroth übernahm sofort die Führung und hatte am 2. Wendepunkt in Dresden schon 36 Min. Vorsprung. Diesen Vorrang behauptete unser Landsmann bis Kilometer 315, wo ihn 2 ½ Uhr nachts ein Unfall passierte, welcher ihn am Weiterfahren hinderte. Wahrscheinlich in Folge der kalten Nachtluft und die durch  das starke Fahren bedingte  leichte Kleidung stellte sich ein Wadenkrampf ein, der trotz ärztlicher Hilfe nicht sofort behoben werden konnte. Außer von Göderik-Athen und Brinkmann-Schwerin i. Meckl. hatten alle übrigen Fahrer das Rennen aufgegeben, sodass  das Preisgericht Lauenroth den 3. Preis zuerkannte.

Von Göderik und Brinkmann hatten die 500 km in 28 Std. zurückgelegt, eine Stunde mehr, als Pundt* (Anm. aus Brandenburg) im vorigen Jahr.  Lauenroth fuhr 315 km in 13 ½ Std.

 

Unser mutiger Sportsmann sollte jedoch noch einmal in Leipzig Gelegenheit haben, seine Ausdauer bei schnellem Tempo zu zeigen. Der Leipziger Rennverein veranstaltete gestern auf  seiner neuen Rennbahn (die beste Deutsch-lands) ein 12- Stundenfahren, zu dem sich auch Lauenroth meldete. Obgleich auf der Rennbahn nicht geübt, gelang es ihm doch, den ersten Preis, eine goldene Medaille und kostbare Ehrenpreise, zu erringen.

Von befreundeten Leuten ging dem Vorsitzenden seines hiesigen Vereins noch gestern Abend 6 Uhr, 30 min. nach Schluss des Rennens folgende erfreuliche Drahtmeldung zu: „Leipzig . Lauenroth auf „Brennabor“ erster Preis; 297,650 Kilometer in 12 Std. Fahrer gesund, Maschine tadellos. Lauenroth ging soeben scherzend nach der Stadt“.

Bei beiden Rennen bediente sich Lauenroth Maschinen von Gebr. Reichstein hier.

BA.Nr.142. Dienstag, 20. Juni 1893

 

Distanz-Wettfahrt Magdeburg-Steglitz

Schnellster Fahrer war Siebert-Berlin in 5 Std. 4 Min. ohne seine Maschine zu verlassen, ohne Ruhepause mit einem Tempo von 2 Min. 10 Sec. pro Kilometer. Lauenroth  aus Brandenburg/Havel fuhr außer Concurrenz die Strecke in der besten Zeit von 5 Std. und 2 Min., (also 2 Min. besser als Sieber)

Beste Mannschaft „Sport“ Berlin /Semmler, Fischer, Gebr. Mündner, Noack, Behrendt), ihre Durchschnittsgeschwindigkeit 5 Std. 33 Min., 2. „Argo“ Berlin 5:43 Std., 3 Magdeburger Velociped-Club 1869 6:32 Std., 4. „Germania“ Berlin, „Stern“ und danach „Borussia“ Berlin.

 

Der Kontakt zu Herrn  Werner Ruttkus, einem ehemaligen Radsportler aus Berlin,  der unter anderem nach der Wende noch zum  Präsidenten unseres nur noch kurzzeitig bestenden DRSV gewählt wurde, verdanke ich die Ergänzung meines spärlichen Wissens über Fritz Lauenroth. Vermutlich stammte er aus dem in Vorharz gelegenen Halberstadt und kam wegen der besseren Möglichkeiten für seinen professionellen Ragsport nach Brandenburg.

Ein mir übermitteltes  Ergebnis von einem damaligen Klassiker weist darauf hin.

 

1893 Fernfahrt Wien – Berlin: Erste Austragung am 30. Juni 1893 - Berufsfahrer

(150 gemeldete Fahrer, 117 am Start, 37 Fahrer in der vorgeschriebenen Zeit von 50 Std.)

  1. Joseph Fischer (Münchener VC Germania)         31:00:22 Std.
  2. Georg Sorge (Cöln am Rhein)                              31:54:55 "
  3. Franz Gerger (Grazer RV Wanderlust)                 34:22:00 "
  4. Fritz Lauenroth (RV Kornblume Halberstadt)

Herzlichen Gruß

Werner Ruttkus

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Paul Gericke:

War Mitglied des B.R.-V. von 1884, fuhr auch bei lokalen Straßenrennen, sowie auf der Radrennbahn Im Tandem- und Steherrennen und später als Motorschrittmacher:

Der Brandenburger Anzeiger Nr. 195 am Dienstag, 21.8.1900 berichtet:

*Sportliches.  Auf der diesjährigen  Radfernfahrt Hamburg-Berlin, an der 61 Fahrer theilnahmen, errang der hiesige Rennfahrer Gericke auf einem Excelsior-Rade den 3. Preis, trotzdem ihm einige Pneumaticdefekte passirten. Gericke durchfuhr die 257 km lange Streck in 11 Stunden, 48 Minuten und 492/5 Secunden.

 

 

Johannes Pundt um 1885. Der junge Kaufmann war einer der besten deutschen Radrennfahrer dieser Zeit und Rekordhalter über 10.000 m auf dem Hochrad. Er verlegte ab 1892 seinen Lebensmittelpunkt von Berlin in die Stadt Brandenburg.

Johann Pundt

 

Seinen Namen las ich im Brandenburger Anzeiger (BA.) Nr.177 vom 1. August 1892 im Bericht über eine Staffettenfahrt von

B e r l i n  nach  K ö l n:

Organisiert vom Deutschen Radfahrer-Bund erfolgte der Start um 12 Uhr am Brandenburger Thor. Für die Tour Berlin – Brandenburg starteten zehn der besten Fahrer. Jeder „Staffettenfahrer“ erhielt eine Binde mit der Aufschrift: Im Auftrage der Militärbehörde, und ein Major Brix von der Militär-Turnanstalt übergab eine Depesche. Die Losung wurde ausgegeben: „All Heil unserem Kaiser“.

Hier in Brandenburg vor dem „Hotel zum Adler“ in der Sankt-Annen-Straße hatten sich viele Mitglieder der Radfahrervereine eingefunden.

Die Herren Preisrichter Gärtner und Ehler aus Berlin registrierten folgenden Einlauf der ankommenden Fahrer:

Erster Johann Pundt in 2 Std. 48 Min. 45 Sec. vor Paul Münder 2:48.45 und Alfred Köcher 3:04.37 Std.

Wie ich jetzt weiß, war der Sieger kein unbeschriebenes Blatt, sondern einer der besten Meisterfahrer von Deutschland der 80er Jahre im 19. Jh..

Pundt wurde am 7. Juli 1864 in Neuhaus bei Angermünde geboren. Er war einer der ersten bedeutenden Radsportler Deutschlands und der erste deutsche Rekordfahrer. Er hatte als junger Kaufmann den Berliner Bicycle-Club "Germania" mit gegründet.

Wie die meisten anderen Radsportler seiner Zeit, trat auch er sowohl auf dem Hoch-, als auch auf dem Nieder- und Dreirad zu Radwettfahrten an. 

Sein erstes Rennen gewann er 1885 mit 21 Jahren in Berlin. Dieser Erfolg ermutigte ihn, sich mit den anderen „Größen“ im Radsport der Anfangsjahre zu messen und konnte sie fast alle besiegen. 

Bis 1886 erbrachte er eine Glanzleistung nach der anderen. Im darauffolgenden Jahr trat er etwas in den Hintergrund und setzte danach ein Jahr aus, da er sich als Einjährig-Freiwilliger beim 2. Garde-Regiment in Berlin gemeldet hatte. Er kam noch einmal 1888 auf dem Rad zurück und gewann ein 100 Kilometerrennen in Berlin, bei dem er sechs neue Rekorde aufstellte.

1891 belegte er bei der ersten Distanzfahrt Leipzig-Berlin-Leipzig einen 3. Platz. 1892 „beteilgte“ er sich auch an einem Distanzritt einiger Kavalleristen Wien-Berlin. Über 580 km wurde der schnellste Reiter gesucht. Da die damaligen Motor-Wagen noch nicht so schnell waren, wie die Reiter, übernahmen Radfahrer die Begleitung und fungierten auch als Quartiermacher, so auch Pundt. Der Meisterfahrer Johann Pundt regte daraufhin eine Fernfahrt Wien-Berlin für Radsportler an, die im folgenden Jahr zum ersten Mal ausgetragen und von Josef Fischer gewonnen wurde.

Sein Palmarés kann sich  sehen lassen:

1885

1. Platz Meisterschaft des DRB im Schnellfahren auf dem Zweirad, Nürnberg

                -über 10 000m, Niederrad

                -über 50 km, Niederrad 

1. Platz Meisterschaft von Hannover

erste Plätze in Berlin, Leipzig, Hannover, Genthin

                -Rekorde: 1000m in Berlin / 4 000 m , Leipzig / 5 000 m , Berlin 

1886

1. Platz in Meisterschaft von Deutschland, Berlin

Erster Gewinner des Kaiserpreises (kostbarer Wanderpokal für Hochradfahrer, 1886 gestiftet von Kaiser Wilhelm I.), ausgetragen anlässlich der Meisterschaft von Deutschland 

1. Plätze in Zwickau (Handicap und Hauptfahren)

erste Plätze in Hannover, Magdeburg, Zwickau, Halle

1888

insgesamt 6 erste und 12 zweite Preise

1. Platz 100 Kilometerrennen, Berlin, errang dabei 6 Rekorde

1889

Sieger der Fernfahrt Berlin-Hamburg

1891

3. Platz beim 1. Langstreckenrennen Leipzig-Dresden-Leipzig über 500 km

(...)

1892 (wie oben bereits beschrieben)

Staffettenfahrt von Berlin nach Köln- erste Etappe Berlin-Brandenburg Pundt in 2: 48. 45 Std.

Sein Radfahrer-Verein „Germania“ Berlin hatte des Öfteren an Wettbewerben in Brandenburg teilgenommen. Pundt kannte also die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Stadt bestens und  hat als Kaufmann offenbar eine Anstellung bei den renommierten Brennabor-Werken erhalten, deren Chef Carl Reichstein, als „princeps inter pares“ der drei Brüder, auch Vorsitzender des ersten Brandenburger Radfahrer-Vereins von 1884 war. Pundt wurde Mitglied dieses Vereins und scheint auch ein sehr geselliger Mensch gewesen zu sein, wie man nachfolgenden Bericht entnehmen kann.

Am 14.1.1893 fand das 8. Gala-Costüm-Fest des B. R.-V. von 1884 in Pahl’s Salon statt. …..der Radfahrsport und der festgebende Verein erfreuen sich großer Beliebtheit in den besten Kreisen der Stadt. Dem einleitenden Prolog folgten Vorführungen im Rahmen des Themas „China“. Hannes Pundt, selbst Mitglied des Vereins, begibt sich mit 2 Begleitern hoch zu Rad nach China, um dort für den Radsport Propaganda zu machen und die in Deutschland hochberühmten „Brennabor-Räder“ der Gebr. Reichstein einzuführen. Er führt seine Künste beim Kaiser von China vor und begeistert diesen, sie machen beide Brüderschaft. Das Stück ist ulkig in Knüttelversen geschrieben. Die Zuschauer waren begeistert…… (B.A., 17.1.1893)

Den aktiven Radsport lies der junge Kaufmann aber noch nicht ganz Ruhen und nahm an den Rennen seines Vereins teil. Der Brandenburger Radfahrer-Verein von 1884 veranstaltete 23. Juli 1893 eine   Club-Dauerfahrt über 85 km von Brandenburg über Rathenow-Genthin-Plaue  bis zur Kürassier-Kaserne. 10 Mitglieder des Vereins hatten gemeldet und starteten am altstädtischen Schützenhaus um 6 Uhr. Trotz heftigen Gegenwindes wurden vorzügliche Zeiten gefahren.

Als Erster erreichte das Ziel:  Joh. Pundt um 9 Uhr und 4 Min.(3:04 Std.) vor Max Grubert   (3:07 Std.)

Der B. R.-V. hat bei diesem Rennen den Beweis geliefert, daß er nicht nur beim Saalfahren und Corso, sondern auch beim Dauerfahren Hervorragendes leisten kann. (B.A.)Nr.171,24.7.1893

Am 12. Juli 1896 wurde ein Vorgaberennen des B.R.-V. von  1884 über 80 km auf der Strecke Brandenburg-Ziesar-Genthin und zurück ausgetragen, bei dem heftiger Gegenwind auf 2/3 der Strecke bestand . Beste Leistungen zeigten die Herren Pundt und Hampe (ohne Schrittmacher). Gestartet waren: Herr Joh. Pundt (vom Mal), E. Voigt (8 Min. Vorgabe), C. Bassow (11 Min. Vg.), Hampe (12) und Hollerbaum (16). Erster wurde G. Hampe in 2:50 Std. vor Joh. Pundt. Dies schnellste Zeit fuhr Joh. Pundt mit 2:39, 45 Std. und bekam den „Zeitpreis“ (B.A.,Nr.163,14.6.1896).

Die Fahrradfirmen, so auch Brennabor, begannen zunehmend, Motor-Zweiräder in ihr Produktionsprogramm aufzunehmen. Diese wurden dann noch unter dem  Dach der Radfahrer-Vereine  und –verbände in so genannten „Zuverlässigkeitsfahrten“ getestet. Damit hatte man auch eine neue Form von Wettkämpfen entwickelt, da auch an Kontrollstationen Zeitnahmen erfolgten. Auch J. Pundt scheint als Mitarbeiter der Brennabor-Fahrradwerke seine Liebe zu diesem neuen Gefährt entwickelt zu haben.

Bei der Zuverlässigkeitsfahrt für Motor-Zweiräder  von Frankfurt a.M. nach  Berlin, bei welcher  die Fahrer auch die Stadt Brandenburg passiert haben, sind zwei Herren aus unserer Stadt auf ihren Brennerbor-Motorrädern als Sieger hervorgegangen, indem vom Sport-Ausschuß des Deutschen Radfahrerbundes Herrn Kaufmann Johannes Pundt der erste Preis, Herrn Karl Reichstein jun. der dritte Preis zuerkannt wurde. Die Herren haben die 621 km lange Strecke ohne Störung in ca. 16 Std. zurückgelegt, obwohl sie keine Berufsfahrer, sondern Herrenfahrer sind. Das bedeutet einen Triumph für hiesige Industrie gegen die große Konkurrenz der Motorradbauer, aus der Brennabor als Sieger hervorging (BA.Nr.144, 22. 6.1904)

Nochmals taucht sein Name als inzwischen 40jähriger bei großen Radsportveranstaltung auf. Über die Radfernfahrt „Rund um Berlin“ 1904 über 240,9 km wird  u.a. berichtet: Das Rennen wurde erstmals unter Führung von Motor-Schrittmachern „Töff-Töff“ ausgetragen. Der Brandenburger Johannes Pundt belegte zweiten Platz.

Ergebnisse:

1. H. Steffen-Beelitz  (Brennabor) 6:58.48 Std., 2. J. Pundt-Brandenburg  (Brennabor) 7:00.56 Std., 3. H. Bachmann (Brennabor) 7:0134 Std. (BA.Nr.202,  29.8.1904)

 

 

Quellen: Brandenburger Anzeiger,

Monika Mischke, Cycling4fans

Sport-Album der Radwelt, 4., 11. Jahrgang

 

In einem Artikel des "Illustrierten Radsport-Express" von 1948 wird auch unter den Besten seiner Zeit sein Name genannt.  Siehe  Bildergalerie

 

 

 

 

 

Originalbericht im Brandenburger Anzeiger von der Zuverlässigkeitsfahrt Frankfurt a.M. - Berlin vom 5.6.1904

Gustav Gräben gehört natürlich auch dazu und wird extra besprochen!

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© Dr. med. Fritz Baars