1. Zunächst ein paar allgemeine Fakten über Radrennbahnen in Deutschland und Europa:
Über die erste, in einem Park errichtet Radrennbahn, welche ebenerdig lag und mit überhöhten Kurven ausgestattet war, wurde erwartungsgemäß aus Paris berichtet. Auf dieser fanden am 31. Mai 1869 die ersten Rennen statt. Ein Beweggrund für den Radrennbahn-Bau, der auch später anderen-orts meistens vorlag, war der allgemein schlechte Zustand der Wege und Straßen. Mit solchen Bauwerken reichten nun ein paar hundert Meter intak-ten Weges aus, um kilometerlange Rennen „glatt“ abzuwickeln. Vielleicht waren auch Pferderennbahnen Anregung und Vorbild dafür, so wie andere Fachausdrücke im „Fahrradsport“ auch daher stammen: Der Sattel, das Reiten des Stahlrosses, Velocipeden-Reitclub usw. Außerdem waren Radfahrer auf öffentlichen Straßen zunächst nicht gern gelitten und das Fahren mancherorts gar verboten, wie damalige Polizeiverordnungen aus Köln und Berlin dieses belegen. Die Kunde vom Vorzug solcher „Bauwerke“ verbreitete sich aber schnell unter den „Velocipedisten“, so auch im Deutschen Reich: Folglich kam es bald zur Nachahmung dieser vorteilhaften Einrichtung. In München erbaute der dortige Bicycle-Club 1880 eine 500 Meter lange Bahn, ebenfalls schon mit überhöhten Kurven. Diese und viele nachfolgende Bahnen nutzte man als „Lehrbahnen“ für Fahranfänger und zum Vergnügen der Könner, späterhin vor allem aber für den sportlichen Wettkampf. So entstanden nach und nach in Leipzig 1882, Berlin 1985 und anderen deutschen Großstädten Radrennbahnen im Freien. Diese waren teils auch schon überdacht und wurden häufig in große (Freizeit-)Sportparks integriert, wie es auch für Brandenburg a.d.Havel 1899 geschah, worüber an anderer Stelle dieser Homepage bereits ausführlich berichtet wurde.
In den „Glanzzeiten“, also vor der Motorisierungswelle von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts, gab es deutschlandweit 28 offene, 6 überdachte Sommerbahnen und 9 Hallenbahnen, von denen heute nur noch wenige existieren.
Die Fahrbahnen bestehen aus Beton, Asphalt oder aus speziellem Holz (z.B. Sibirische Lerche). Ihre Länge war und ist zum Teil extrem unterschiedlich: Mit 44 Meter gab es eine „Kurzbahn“ in Paris, auf welcher sich der erste Gewinner der Tour de France, Maurice Garin, mit einem anderen erfolgreichen Franzosen, Lucien Lesné, 1901 zum Gaudium des Publikums mehr artistisch, denn fahrerisch „duellierten“. Eine extrem lange Bahne wurde in Berlin für die geplanten olympischen Sommerspiele 1916, die wegen des ersten Weltkrieges jedoch ausfielen, mit 666,666 Metern Länge erbaut. Die zunächst kurios anmutende Zahl lässt schon ein mathematisches Grundprinzip in der Längenberechnung von Bahnen erkennen. Viele der früher gebauten Bahnen hatten willkürlich verschiedene Ausmaße, meistens zwischen 170 und 500 Metern. Man hat sich dann für einen besseren und übersichtlicheren Ablauf der Sportveranstaltungen auf Freiluftbahnen für eine genormte Länge von 333,333 Metern geeinigt, also einem Drittel von 1000 m. Damit waren Zeitfahr-Wettbewerbe über 1000, 4000, 5000, 10000 Meter usw. durch Absolvierung von dem entsprechen-den Vielfachen einer Runde einfach abzuwickeln. Auch die Kurvenüberhöhung baute man zwischen 30 und 60 Grad, je nach Größe der Bahn und der erwarteten Renngeschwindigkeit, da Steherwettbewerbe sehr in Mode kamen und die Zentrifugalkräfte bei diesen Rennen mit zunehmender Motorleistung immer größer wurden. Die Bahnbreite betrug 6 bis 8 Meter, und rote, schwarze (Mal Linie), sowie blaue Linien ordneten die Fahrbahn von oben nach unten. Bei kürzeren Hallen-, auch Winterbahnen genannt, ging man analog vor. Eine breite weiße Ziellinie mit schmalem, schwarzem Mittelstrich, beendete nach der gefahrenen Rundenzahl des Wettbewerbs am Ende der letzten Geraden gut sichtbar das Rennen. Ein Glockenzeichen läutete stets die letzte Runde für den Führenden ein.
Abschließend soll noch erwähnt werden, dass viele Radrennbahnen in Deutschland, aber auch auf der ganzen Welt, besonders für Großereignisse, wie Weltmeisterschaften oder olympische Spiele, mit einer Gesamtzahl von über 120 Bauwerken, von der „Architekten-Familie“ Schürmann aus Münster/ Westfalen geplant und miterbaut worden sind. Der Begründer dieser jetzt in 3. Generation befindlichen „Radrennbahn-Dynastie“, Clemens Schürmann, war selbst ein erfolgreicher Bahnfahrer und dadurch intimer Kenner der Materie. (Ausführlicheres z.B. bei WIKIPEDIA)
2. Die erste Radrennbahn auf dem Werder
Carl Hindenburg, der 1869 gemeinsam mit August Braune, Otto Koch und Adolf Mittag Gründer des ersten Magdeburger Velocipeden Club war und auf dem Werder wohnte, sorgte auch dafür, dass seine Radsportfreunde alsbald, um 1882/83 auf einer eigenen Radfahrer-/Rennradbahn, im sogenannten „Rennpark“, fahren und damit regelmäßig trainieren konnten. In der Nähe der Oststraße auf dem Werder soll diese Bahn, über welche man heute nicht mehr viel weiß, gelegen haben. Erste inoffizielle, „offene“ „Deutsche Meisterschaften“ hätten dort bereits stattgefunden, und ein Engländer namens Wyndham war der Sieger, womit die internationalen Kontakte des Vereins belegt sind(Grau/Buchheim, radsportonline.com). Diese Bahn war damit die erste Magdeburgs und wohl auch deutschlandweit eine der Ersten. Als Beispiel, welches die hohe sportliche Qualität dieses ersten Radsport-Vereins Magdeburgs verdeutlicht soll, konnte man im Brandenburger Anzeiger (B.A.) Nr.118, 23. Mai 1894 lesen:
Am 12. Mai 1894 starteten in Coventry (England) beim Haupthandicap in 10 Vorläufen 87 Rennfahrer. Es gelang Herrn Rudolf Roderwald vom Magdeburger Velocipeden-Club von 1869, im Entscheidungslauf einen glänzenden Sieg zu erringen. Drei Tage später kam Herr Roderwald in Birmingham beim ½ Meilen Scratch-Rennen ebenfalls mit großer Ueberlegenheit als Erster ein. In beiden Rennen wurden von ihm die besten Rennfahrer Englands, wie Leitch, Brooks, Henni, Petersen usw. besiegt: Roderwald ist in bestechender Verfassung und hofft, bald weitere Erfolge melden zu können
In der Stadt wuchs die Zahl der Vereine, in denen Radfahr- und Radrennsport betrieben wurde von sechs (1869 bis 1889) auf dann 23 Vereine (1890 bis 1898) an. Im Jahre 1890 hatte sich die Vereinigung Magdeburger Radrennfahrer gegründet, offenbar als ein Sammelbecken von besonders talentierten, leistungsorientierten und schon erfolgreichen Fahrern, die über die Stadtgrenzen hinaus bekannt waren. Der Kaufmann Emil Hevemeyer aus der Victoriastraße 9 stand als Vorsitzender zwischen 300 bis 400 Mitgliedern vor. Aufgrund des steigenden Interesses an der neuen Sportart, plante man einen lukrativen Bahnneubau, der schließlich auf einem Teil des „Cracauer Angers“ an der Berliner Chaussee, 1896 realisiert worden ist.
Diese Straße ist ein Teilstück der alten Reichsstraße von Königsberg nach Aachen, die von Berlin über Brandenburg a. d. Havel, Genthin und Burg kommend Magdeburg als Bundestraße 1 von Ost nach West in Richtung Helmstedt und Braunschweig durchquert. In einer Broschüre des Stadtplanungsamtes Magdeburg findet sich in einem sehr informativen Aufsatz über die Entwicklung von Angersiedlung und Brückfeld eine interessante Beschreibung der Entwicklung dieses Areals unter spezieller Berücksichtigung der Radrennbahn, auch anhand von kurzen Lageplänen im Verlauf des kurzen 33jährigen Bestehens dieser Freizeit- und Sportanlage (s. Abb.). Auf der Fläche zwischen der heutigen Dessauer und der Georg-Heidler-Straße baute man diese Rennbahn, welche dann zwischen den Restaurants „Zum Goldenen Rad“ und „Grasemanns Gesell-schaftsgarten“ gelegen war. Das erste Rennen auf dem 400 m langen Zementoval mit 3 Meter überhöhten Kurven fand am 30. März 1897 statt.
Für gut eine Generation von Magdeburgern war die Radrennbahn vor den „östlichen“ Toren der Stadt ein sportlich-kultureller Magnet. Sonntag für Sonntag surrten hier die Fahr- und später auch Motorräder bei hunderten Veranstaltungen und sicher vor insgesamt hunderttausenden Zuschauern, die den Akteuren immer wieder frenetischen Applaus bei den „Jagden“ spendeten. Radsportler aus Magdeburg kamen ab 1899 auch regelmäßig auf die neue Bahn nach Brandenburg. Sportliche Leistungsträger* dieser Jahre, die auch auf weiteren Bahnen Deutschlands ihre Runden erfolgreich zogen, waren u.a.:
*Ergebnisse von Magdeburgern bei Rennen in Brandenburg von 1899 bis 1921
Dann kam eine weltkriegsbedingte Pause bis 1921. Brummert fuhr da nochmals ein Dauerrennen in Brandenburg und belegte den 2. Platz
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Die Erfolge von namhaften Radsportlern auf der Bahn in Magdeburg 1902 bis 1928:
1.Bruno Salzmann *1883-?, Deutscher /Amsterdam, Berlin -Dauerfahrer--1901 Amateur -1901-1913 (?) Berufsfahrer: 1902, 04 u. 05: 1. Pl. „Goldpokal“, 2. Pl. „Goldenes Rad“, 1. Platz „Goldpokal“
2.Thorwald Ellegaard *1877-+1954, Dänemark , Fahrertyp: Sprinter-1898-1926 Berufsfahrer-Erfolge auf der Bahn in Magdeburg 1903: 1. Platz „Drei-Weltmeister-Match“
3.Alfred Görnemann * 1877-+ 11. Oktober 1903 auf der Bahn in Dresden während des 100km-Fahrens, Deutscher/Berlin-Dauerfahrer-Amateur 1898-03 -1903: 1903: 2. Platz „Goldenes Rad“ über 70 km
4.Thaddäus Robl *1877 -+18. Juni 1910 Flugzeugabsturz in Stettin Deutscher München -Dauerfahrer, Steher -1894-1896 Amateur -1896-1910 Berufsfahrer: 1904: 1. Platz „Goldenes Rad“
5.Willy Arend *1876-+1964, Deutscher/Hannover-Sprinter -1894-96 Amateur-1896-1926 Berufsfahrer: 1908: 2. U. 3. Platz im Hauptfahren
6.Nat Butler * 1870, Cambridge (Massachusetts)/USA -1893 Straßenfahrer-1894-1901Flieger-1901- Dauerfahrer: 1907: 3. Platz „Goldene Armbinde“
7.Paul Dangla *1878 -+18. Juni 1904 auf der Bahn in Magdeburg, Franzose-Flieger, später Dauerfahrer -1897-99 Amateur -1899- 94 Berufsfahrer: 1904: 1 Platz „Goldenes Rad
8.Bruno Demke * 1880-+1916/ -Deutscher /Berlin - erst Flieger - ab 1903 Dauerfahrer 1901- Berufsfahrer: 1904 u.07 : 3. u. 1. Platz „Goldenes Rad“
9.Piet Dickentman * 1879-+1950, Amsterdam -Niederländer -Dauerfahrer -aktiv: 1899-1926
1905: 1.Platz „Großer Preis“
10.Arthur Vanderstuyft *1883-+1956 –Belgier/Antwerpen: 1897- Straßenfahrer-1899- auch Flieger –ab 1905 Dauerfahrer, 1902-1922 Berufsfahrer: 1907: 2. Platz „Großer Preis“
11.Willy Techmer *1884 , Deutscher - Berlin : 1904-1924 Flieger: 1908: 2. U. 3. Platz im „Hauptfahren“
12.Peter Günther *1882- +1918, -Deutscher -anfangs Flieger, Dauerfahrer -1901-1903 Amateur -1903 - 1918 Berufsfahrer :1906 u.08: 1. „Großer Preis“ u. 1. Platz „Goldenes Rad“
13.Oscar Peter *1880-?, Deutscher Berlin -Flieger -1899-1923 (?) Berufsfahrer - Erfolge auf der Bahn in Magdeburg 1908: 1. Platz „Hauptfahren“
14.Hermann Przyrembel *1882-+?,-Deutscher/Berlin: 1901 – 1903, Flieger 1903 - 1913 Dauerfahrer, Berufsfahrer - Erfolge auf der Bahn in Magdeburg 190 :
15.Karl Saldow *1889 -+1952 -Deutscher/Berlin: Flieger, Dauerfahrer-1910-1929 (?) Berufsfahrer -: 1928: 1. Platz „Großer Preis“
16.Walter Rütt *1883-+1964-Deutscher/ Berlin Sprinter 1900-1925 Berufsfahrer :1925: 1. Platz „Sprinterkampf“
Quelle:https://www.cycling4fans.de/
Die Vornamen der Fahrer wurden in den Ergebnislisten in der Regel nicht erwähnt, erschienen nur bei besonders herausragenden Sportlern im Rennbericht, weshalb sie oft fehlen. Vom nächsten Altmeister aus Magdeburg kenne ich den Vor-/Zunamen aber ganz genau. Ich habe den alten freundlichen Herrn noch persönlich kennen gelernt, weil er bei den Rennen in und um Magdeburg meistens an der Einschreibkontrolle saß, und wir uns beide oft unterhielten. Selbstverständlich reiste er immer auf seinem alten Rennrad an. Er schenkte mir damals ein Bild aus seiner aktiven Zeit in den 20ern. Ich kannte diesen ehemaligen Berufsfahrer, Paul Schmidt (1885-1967), damals nur als "Wackelschmidt". Doch diesen, etwas despektierlich Beinamen, erhielt er nicht etwa, weil er im Alter mit dem Kopf gewackelt habe, wie auch ich damals fälschlicherweise glaubte. Der Enkelsohn von Rudolf Niesche (s. weiter unten), Volker Jörn, klärte in einem Gespräch mit Tina Heinz dieses lang-lebige Missverständnis auf. Sein Großvater erzählte das so: „Weil er das Fahrrad nie ruhig hielt, sondern beim Start und bei den Handycap-Rennen wohl vor Aufregung immer mit dem Kopf und Lenker wackelte“. Der aus Riestedt bei Sangerhausen stammende Schmidt hatte als sportliches Vorbild den damals berühmten deutschen Weltmeister im Sprint von 1895, August Lehr aus Frankfurt a.M. und war selbst noch Zeitzeuge des Hochradfahrens. Bereits mit 10 Jahren begann er mit dem Radsport und gewann schon 1900 als 15jähriger sein erstes Straßenrennen um den Havelland-Pokal über 130 km. Er gewann bei vielen, vor allem Bahnrennen, war einmal Sieger der damals bedeutenden „Magdeburger Meisterschaft“ und Zweiter der Meisterschaft der Provinz Sachsen. Die 400 m - Zementbahn an der Berliner Chaussee war sein sportliches zu Hause. Er war Mitglied der Vereinigung Magdeburger Rennfahrer, bei der auch schon oben genannte Erfolgsfahrer wie: Brummert, Michaelis, Erstsling, Boring, Heinrich, Jankowski u.v.a. fuhren. Bei den Fliegerrennen war er in seinem Metier, und er bekam tosenden Beifall, wenn er in den Handicaps zäh seine Vorgabe verteidigte. Nach Abriss der Bahn wandte er sich erfolgreich dem Motorradrennen zu und war auch hier erfolgreich.
Unter vielen erfolgreichen Rennfahrern dieser Jahre muss unbedingt Otto Michaelis sen. (1886-1965) genannt werden. Als Nähmaschinen- und Fahrradmechanikerlehrling hatte er sich seine erste Rennmaschine selbst zusammen gebaut und war auch einer der ersten Schlauchreifenfahrer der Stadt. Er schloss sich früh dem Radfahrerverein „Komet“ in der Neustadt an. 1903 ging er in die Magdeburger Herrenfahrer-Vereinigung und bestritt als Herrenfahrer am 26. April erfolgreich sein erstes Rennen auf der Bahn. Mehr als 500 Siegerschleifen errang er in seiner Laufbahn vor allem auf der Bahn, aber auch auf der Straße. So gewann er einmal ohne spezielles Straßentraining die Fernfahrt Magdeburg-Quedlinburg-Magdeburg mit 20 Min. Vorsprung. Auf vielen deutschen Bahnen hat er mit der damaligen Spitzenklasse, wie Walter Rütt, Walter Lorenz, Eugen Stabe und Weltmeister Willi Arend seine Kräfte gemessen. Mit seinem Partner Heinrichs war er auch ein erfolgreicher Tandemfahrer. Später trainierte er seinen Sohn, Otto Michaelis jun., der in den 30ern zu den besten deutschen Amateuren gehörte und auf Straße und Bahn mehrere deutsche Meistertitel errang.
Die Recherchen ergaben, dass in Magdeburg in diesen Jahren noch zwei weitere Radrennbahnen gebaut worden sind, über die mir aber nur sehr wenig bekannt ist. Ein Fußballverein „Magdeburger SC 1900“ hatte laut Angaben im Internet sein Stadion in der 1902 erbauten „Radrennbahn Sachsenring“, bis er im Rahmen des Vereinsverbotes durch die Siegermächte 1945 aufgelöst wurde. Ende der 60er Jahren sollen dort noch die Kurven der Bahn gestanden haben. Eine kleine Straße, dicht am Magdeburger Ring in der Nähe des Glacis-Parks, trägt noch heute diesen Namen. Der oben schon erwähnte gelernte Fahrradschlosser, Gustav Brummert (1893-1967) vom Magdeburger RC Pfeil, sei in seinen jungen Jahren der Lokalmatador auf dieser Bahn gewesen, bis er in den 20er Jahren auf der Piste an der Berliner Chaussee hinter verschiedenen Schrittmachern seine erfolgreichste Zeit erlebte. Sein persönlich größter Erfolg war, als 1924 den Deutschen Meister Carl Saldow bezwang. Er war fast auf allen deutschen Rennbahnen zu Hause: Aachen, Erfurt, Dortmund, Nürnberg, Dresden, sowie auch in Zürich und Budapest. Von 1919 bis 21 gingen 39 Siege bei Steherrennen auf sein Konto. 1922 gewann er den „Germania-Preis“ und das „Goldene Rad“. Der vielseitige Sportsmann fuhr auch erfolgreich auf der Straße, wurde einmal „Meister von Magdeburg“ und gab dabei erstklassigen Straßen-Spezialisten, wie Otto Nitze und Walter Richter das Nachsehen. Auch als Bahnsprinter war er eine Klasse für sich und wurde 1929 VDRV-Sprintermeister (Verband Deutscher Radrennbahnen Veranstalter). Nach dem Titelgewinn (DM im Bahnsprint der Dt. Rad-Union) beendete er mit 38 Jahren seine sportliche Laufbahn. Nach dem 2.Weltkrieg war auch er, wie viele andere Radsportveteranen Magdeburgs, ein „Mann der ersten Stunde“ in ihrer Heimatstadt und veranstaltete vielbesuchte Aschenbahnrennen im H.-Germer-Stadion. Im Zivilleben verdiente er später sein Geld als Gastwirt. Erwähnt werden soll noch, dass er gemeinsam mit seinem Bruder Paul, der auch ein erfolgreicher Radsportler beim RC Brennabor Magdeburg 1930 war, 1932 Dt. Straßenmeister im Mannschaftsfahren wurde (Quelle u.a. G. Grau).
Namen der Initiatoren des Projektes Radrennbahn an der Berliner Chaussee, welche den Bau „angeschoben und umgesetzt“ haben, sind mir nicht bekannt. Die Ideen kamen sicher aus den führenden Vereinen. Radrennbahnen in Deutschland sind meistens von Konsortien solventer Unternehmer aus rein wirtschaftlichem Interesse erbaut und dann an geeigneten Betreiber verpachtet worden, die kauf-männisch in der Lage waren, solch Unternehmen gewinn-bringend zu führen. Dazu gehörte sicher auch damals eine gute Vernetzung im "Radsportzirkus", wie es wahrscheinlich heute in der Formel 1 üblich ist. Im Profi-Bereich standen die bekannten Fahrer auch meistens bei Managern (Vermittler oder Agent) unter Vertrag, welche die Termine koordinierten und nach den besten Preisgeldern Ausschau hielten. Das galt besonders für Fahrer mit einem „großen“ Namen, die möglichst Deutsche, Europa- und/oder Weltmeister waren und dann auf den Vorankündigungen als Attraktion präsentiert werden konnten. Das brachte Warteschlangen an den Kassenhäuschen. Häufig waren es die Steher-rennen mit ihrem ohrenbetäubenden Lärm, welche besonders die männliche Jugend begeisterten. Männer mit klangvollen Namen, wie z.B.: Thaddäus Robl-München, Carl Saldow-Berlin, A. Dickentmann und H. R. van Schoonthoven-Amsterdam waren vor dem 1. Weltkrieg sicher häufig am Start. Für besonders gute Stimmung auf den Rängen sorgte immer ein starker Lokalmatador, wie Gustav „Pepi“ Brummert, den die ungarische Presse einmal als „Teufelsfahrer“ aus Magdeburg beschrieb, mit seinem Schrittmacher Walter Jungnickel oder der Sprinter Otto Michaelis sen., welcher der hochdekorierten auswärtigen/ausländischen Konkurrenz Paroli bieten konnte. Dann schäumte das Stadionrund fast über, und der Lokalpatriotismus konnte voll ausgelebt werden.
Für den Sportpark in Brandenburg ab 1899 habe ich einige aus der Riege der Betreiber beschrieben. Zunächst versuchten die einheimischen „Erbauer“ das „Konstrukt“ selbst zu vermarkten, merkten aber bald, dass dafür Leute mit spezifischen Qualifikationen nötig waren. Meistens hatten diese Männer in jungen Jahren selbst etwas mit dem Radsport zu tun. Ein ehemaliger Bahnradsportler und späterer Unternehmer aus Berlin, Willy Lücke, den es nach Brandenburg verschlagen hatte, leitete vor dem 1. Weltkrieg einige Jahre die Brandenburger Bahn und 1913 auch parallel die Bahn in Magdeburg. Dann kam überall die 4 – 6jährige „Flaute“ durch die Kriegswirren des 1. Weltkriegs, in der Radsportveranstaltungen, auch in der Berichterstattung, faktisch keine Rolle mehr spielten. In einem gemeinsamen öffentlichen Nachruf für die 1972 verstorbenen Veteranen Walter Jungnickel und Hans Kaps, wird Letzterer als früherer „Rennbahndirektor“ benannt, jedoch nicht in welchem Zeitraum. Vom Alter her könnte er in Nachfolge von Willy Lücke gewesen sein. Danach hat ein Magdeburger mit eigenen Radsportwurzeln, der inzwischen ein solventer Unternehmer in seiner Heimatstadt geworden war, ab 1921 die Rennbahn betrieben. Rudolf Niesche (1890 -1969) besaß eine Vulkanisieranstalt in der Kaiserstraße, heutigen Otto-von-Guericke-Straße. Im „Der Radsportler 1960“ wurde ihm anlässlich seines 70. Geburtstages öffentlich gratuliert. (siehe Bild oben). Ihm folgte dann offenbar 1923 bis 1929 der gebürtige Magdeburger, Otto Schmidt(*1892), auch ein ehemaliger Radsportler. 1908 hatte er sein erstes Straßenrennen, „Magdeburg-Weferlingen-Magdeburg“ gewonnen, fuhr später auch Bahnrennen, ohne jedoch Spitzenfahrer zu sein. Sein Talent lag im organisatorischen Bereich. So war er auch zeitweise Vereinsvorsitzender des 1908 gegründeten „RC Triumph“ und von 1929 bis 33 des „RC Endspurt“ Magdeburg. Er leitete die Rennbahn bis zu deren unaufhaltsamen Ende 1929, was ihn sicher auch sehr betrübte. Seiner Initiative soll es zum großen Teil zu verdanken gewesen sein, dass draußen vor den Toren der Stadt im kleinen Ort Biederitz eine kurze Zementpiste entstand, auf der sich die Magdeburger noch bis in die 60er Jahre der DDR-Zeit tummeln konnten. Aber auch deren Ende war dann nicht mehr aufzuhalten. Nach dem 2. Weltkrieg war auch er „Mann der ersten Stunde“, baute ab 1951 gemeinsam mit Alfred Rommel den Amateur-Dauerrennsport wieder auf, war erster BFA-Vorsitzender in Magdeburg und engagierte sich auch stark bei der Organisation der Internationalen Friedensfahrt Ende der 50er Jahre.
Hier füge ich noch einen mir interessant erscheinenden Aspekt über die Radrennbahn ein, welchen ich anhand meiner Unterlagen bisher chronologisch noch nicht ganz schlüssig einordnen konnte. Das alte Foto von 1906, welches mir G. Grau dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt hat, kann da wohl weiterhelfen.
In einem kurzen historischen Abriss (2) wird ein Fritz Grothum als „Besitzer der Rennbahn“ bezeichnete, allerdings ohne eine sichere zeitliche Zuordnung dieser Phase zu vermerken und betont, dass unter ihm die Bahn nationale Bedeutung erlangte. Es seien bedeutsame Rennen, wie das „Goldene Rad der Stadt Magdeburg“ ausgefahren worden. Neben den Radsportveranstaltungen hat wohl auch der im Aufwind befindliche Motorsport auf der Bahn Einzug gehalten. Der Motorenbauer und erfolgreiche Flugpionier Hans Grade https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Grade sei mit Grothum ins Geschäft gekommen und unterhielt im Innenfeld der Rennbahn einen Werkstattschuppen. Sicher war das ein Vorortstützpunkt, denn er testete die in seiner 1905 gegründeten Grade-Motorenwerk GmbH gebauten Zweitaktmotorradmotoren bei Rennen aus, welche mit über 100 km/h auf dem Oval ausgetragen wurden.
Nachfolgend soll kurz ein interessanter familiärer „Zusammenhang“ erörtert werden. Der Vater der bekannten, 1935 in Dessau geborene Volksschauspielerin, Brigitte Grothum-Berlin (u.a. Fernsehserie: Drei Damen vom Grill*), hieß auch Fritz. Der „Motorflugpionier“ Hans Grade(1879-1946), war Ehemann einer Käthe, geb. Grothum, und Brigitte G. nannte H. Grade in Interviews ihren Onkel. Der in Köslin geborene Grade kam als junger Ingenieur nach Magdeburg, baute zunächst Zweitaktmotoren für Motorräder und machte ab 1908 dann mit selbstgebauten 3-Deckerflugzeugen Übungsflüge auf dem Cracauer Anger, bevor er nach Borgwalde bei Belzig umzog und sich dort dem Bau von Flugzeugen und der Pilotenausbildung widmete.
Im Internet findet man bei der Namenssuche(Grothum) eine Grabstelle auf dem Waldfriedhof Zehlendorf, wo ein Fritz Grothum (*1895-1977) mit seiner Ehefrau Margarete bestattet ist. Dieser Fritz G. jun. ist altersmäßig wahrscheinlich der Vater von Brigitte G. und war offenbar der Sohn des Rennbahnbesitzer Fritz Grothum sen. Er war 16 Jahre jünger, als Hans Grade(*1879) und wurde Grades Schwager, als dieser seine Schwester "Gretchen" geheeiratet hatte.
In den 20er Jahren wurden auch regelrechte Motorradrennen in verschiedenen Hubraumklassen veranstaltet. Viele erfolgreiche (Bahn-)Radsportler Deutschlands stiegen nach dem Ende ihrer Karriere auf das Motorrad am, welches in den Anfangsjahren dem Fahrrad mit Hilfsmotor noch sehr ähnelte.
In Brandenburg war es der erfolgreiche, aus Berlin zugezogene, ehemalige deutsche Meisterfahrer der 1880er und 90er Jahre, Johannes Pundt auf Brennabor. Soweit mit bekannt ist, hatte er eine Tochter aus dem Hause Reichstein-Brennaborwerke geheiratet und war als Kaufmann tätig. Mit Karl Reichstein jun. nahm er gemeinsam an "Zuverlässigkeitsfahrten" auf Brennabor-Motorradern von Frankfurt a.M. nach Berlin teil.
Fazit:
Ende der 1920er Jahre hatte die Bahn ihre beste Zeit bereits hinter sich. Der große Radsportboom und insbesondere die Aussicht, mit spektakulären Veranstaltungen in den relativ kostspieligen, da wartungsintensiven Rennbahnanlagen ausreichend viel Geld zu verdienen, waren vorbei. Das 400 Meter lange Betonoval entsprach nicht mehr dem Stand der Technik, neue Bahnen waren kürzer angelegt mit besserer Gesamtsicht von den Tribünenplätzen. Für den Rennverein und den Bahn-betreiber wurde es zunehmend schwerer, namhafte Rennfahrer nach Magdeburg zu holen...
Nur das riesige Grundstück selbst stieg Jahr für Jahr im Wert, und Wohnungen waren nach wie vor zu knapp in der Stadt. So wundert es nicht, dass die Stadt den über 30 Jahre alten Pachtvertrag schließlich aufkündigte, um das Gelände an den MBSV (Mieter Bau- und Sparverein) in der Dessauer Straße zu übertragen.
Der letzte Renntag fand am 31. März 1929 statt. Das Hauptrennen war, symbolträchtig, der „Große Abschiedspreis“, ein 50 –km-Zweiermannschaftsrennen welches die die beiden Fahrer O. Montag und E. Mieth vom RC Opel-Magdeburg gewannen. Als wehmütiger Schlussakt fuhren dann die Magdeburger Berufsfahrer und jahrelange Lokalmatadoren Gustav Brummert mit seinem Schrittmacher Willi Jungnickel und Otto Michaelis sen. die offizielle letzte Runde. Der letzte Rennbahndirektor und Vorsitzendes der Vereinigung Magdeburger Radrennfahrer e.V., Otto Schmidt, sprach danach emotionale Abschiedsworte und überreichte den drei letzten Fahrern zum Andenken Abschiedsgeschenke. Im Fahrerlager und bei den Zuschauern breitete sich Wehmut aus. (4)
So ereilte die beiden „Schwesterbahnen“ in Brandenburg und Magdeburg nach gut 30 Jahren ihres sehr erfolgreichen Bestehens, 1929 ein gemeinsames Schicksal, der Abriss. Die Städte wuchsen, attraktives Bauland war gefragt. Das Bauhaus in Dessau hatte viele junge Architekten gestalterisch ertüchtigt und beflügelt, sich im Aufbau ganzer Wohnkomplexe zu verwirklichen. Das Baugeschehen im Bereich Angersiedlung und im Brückfeld schritt mit raumgreifenden Schritten voran und „begrub“ einen gut 30jährigen Teil Magdeburger Stadtgeschichte unter sich, doch nicht ganz spurlos. Dazu sollte dieser Abschnitt beitragen.
Nach und nach fielen auch andere große deutsche Bahnen in einen Dornröschenschlaf oder verschwanden ganz. In den Metropolen oder Großstädten des Ostens, z.B. Berlin, Leipzig, Halle, Dresden und Erfurt fanden sich noch genug Sportler und Zuschauer, um einen Betrieb weiter fortzuführen. In der Zeit des 3. Reiches wurden, auch im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen 1936, einige Bahnen als Leistungszentren gefördert. Der 2. Weltkrieg brachte erneut einen herben Rückschlag für die Bahnen, die teilweise Kriegszerstörungen aufwiesen. Vielerorts, auch in kleineren Städten, wie z.B. Forst, Cottbus, Nordhausen, Fredersdorf, Luckenwalde betrieb man Radsport auf eigenen Bahnen. Viele Radsportler wichen wieder auf die Aschenbahn aus. In Brandenburg an der Havel, schafften Enthusiasten 1952 sogar noch einmal den Neubau einer Betonbahn aus Trümmern der zu beräumenden Kriegsschäden in der Innenstadt.
Die Rennpiste im Stadion der Bauarbeiter
Auch die Radsportler der Stadt Magdeburg hatten keine richtige Radrennbahn mehr nach dem Untergang der alten, an der Berliner Chaussee. Auf Initiative, u.a. von Otto Schmidt, war nach 1929 in Biederitz, vor den östlichen Toren der Stadt, eine kurze Zementpiste erbaut worden, worauf sich die Magdeburger Akteure tummeln konnten. Über nachgewiesene Aktivitäten aus den 30er (Lipfert/K.Müller) habe ich berichtet.
Die Bahn lag in der Nähe einer Gastwirtschaft und war eine kurze, etwa 170 m lange Betonbahn, deren Zustand aber, besonders nach dem 2. Weltkrieg stark zu wünschen übrig ließ. Versuche, sie zu reaktivieren waren von nur temporärem Erfolg. So wurden auf verschiedenen Sportplätzen Aschenbahnrennen, z.B. Bezirksmeisterschaften, ausgefahren, woran ich als Jugendlicher (Heinrich-Germer-Stadion) auch einmal teilnahm. Ein etwas perfekterer Notbehelf war schließlich 1951 errichtete die Betonbahn im Stadion der Bauarbeiter, welche, an der Diesdorfer Straße gelegen, auch eine leichte Kurvenüberhöhung besaß. Dort wurden ab dann regelmäßig Bahnrennen, häufig die beliebten Zweiermannschaftsstundenrennen veranstaltet. Man kann immer wieder feststellen, dass sich Geschichte wiederholt. Waren 1899 Magdeburger Radsportler bei der Eröffnung der Bahn im Sportpark Brandenburg erfolgreich mit mit Fritz Binge dabei, so war es das Brandenburger Erfolgsduo, Erwin Rüdiger und Erich Peter, die zur Einweihung kamen und dort auch später noch häufig erfolgreich starteten.
Zu einer richtigen Radrennbahn hat es in Magdeburg nie mehr gereicht. Viele Artikel in den DDR-Fachorganen „Radsport-Woche“ und der „Der Radsportler“ beklagten diesen Umstand und beschworen, Initiativen zu ergreifen, diesem Übel Abhilfe zu schaffen! Doch nun ist es wohl zu spät dafür. Kein privater Investor wird mehr eine Radrennbahn bauen, um Geld damit zu verdienen!
Der versöhnliche Ausblick
Radsportfreunde beiderlei Geschlechts, besonders aus Ostdeutschland, sollten und können sich freuen, dass das Schicksal mit der zwar gescheiterten Olympiabewerbung Berlin 2000 uns immerhin das schöne Velodrom in der Nähe der alten Winterbahn - Werner-Seelenbinder-Halle „geschenkt“ hat, in welchem im Rahnen der Sixdays Bahnradsport mit der Weltspitzenklasse vom Feinsten geboten wird.
Quellen: